Auf der Suche nach der Seele

 

Dies ist die Geschichte eines Pilgers, der umherwandert – nicht auf einer Reise zu einer heiligen Stätte, sondern auf einer weit tieferen Suche: der Suche nach seiner Seele. 

Er war sich nicht sicher, ob er eine hatte. Viele Jahre zuvor, als er ein lebendiger junger Mann war und viel reiste, um einen tieferen Sinn in seinem Leben zu finden, sagte ihm ein tibetischer Mönch, mit dem er eine Zeit lang in Indien unterwegs war, dass nicht jeder Mensch eine göttliche Seele besitze. Das erschütterte ihn zutiefst. Lange fragte er sich, warum dieser Mönch ihm etwas so Verheerendes gesagt hatte. Doch allmählich, mit der Zeit, begann er zu erkennen, dass eine solche Offenbarung in Wahrheit ein kostbares Geschenk war – denn er würde nun nicht als selbstverständlich hinnehmen, was so besonders und bedeutend war.  

Auf seiner inneren Reise wanderte er durch viele Landschaften. Uralte Echos, in ihren stummen Worten, gaben ihm Hinweise, derer er sich bewusst werden musste. Uralte Geheimnisse wurden seinen blinden Augen enthüllt. Und bei all den Menschen, die er auf seinem Weg traf, musste er lernen, die gute Zunge von der schlechten zu unterscheiden – oft verborgen hinter gegensätzlichen Masken. Die lächelnden, sanften waren die verführerischen Fallen des Widersachers, während die nüchternen, strengen die wahren Gaben voller Segen waren.  

Eines Abends, als die Dämmerung langsam der Dunkelheit der Nacht wich, stiess er auf eine sanftmütige alte Dame, die vor einem schönen alten Häuschen saß. Ihre Gestalt schimmerte im sanften Licht des Abends.  

Sie hob eine Hand und winkte ihn heran. Ihre Stimme rief ihm zu, ob er durstig sei und eine Tasse Tee wolle.  Es war fast Nacht, irgendwie fühlte er sich sicher bei dieser freundlichen alten Dame.  

Während er trank, begann sie plötzlich in einer zeremoniellen, fast hochachtungsvollen Weise zu sprechen. „Die Seele ist nicht das, was du da draußen findest. Sie ist etwas, die du in dir kultivierst“, erklärte sie.  

In diesem Moment wußte er, mit absoluter Gewissheit – daß er endlich eine Antwort hatte. Nein, er hatte die Antwort!  

Er ging mit diesem guten Gefühl im Herzen fort.  

Es war eine sehr ruhige Nacht. Die Sterne und der Halbmond leuchteten friedlich am Himmel und tauchten das Land in ein magisches Licht. Alles strahlte eine tiefe Gelassenheit aus. Ein intensives Gefühl des Friedens breitete sich in ihm aus, und in dieser Stille begann der hypnotische Sog der Worte der alten Dame sich aufzulösen.  

Der Zauber zerbrach – und enthüllte Leere, wo Weisheit geschienen hatte.  

Er wiederholte ihren Satz: „Sie ist etwas, das du in dir kultivierst.“  

Nachdenklich dachte er: „Man kultiviert etwas – etwas, das existiert. Aber ich kenne dieses Etwas nicht. Ich weiß nicht, ob ich dieses Etwas habe!“  

Während er darüber grübelte, begann ein Sturm der Unruhe in ihm zu toben. Zweifel verwandelte sich in Angst, dann in Zorn. Und dann traf ihn die Erkenntnis wie ein Blitz: Die alte *sanftmütige* Dame war keine echte alte sanftmütige Dame.  

Auf einmal, hatte er die verführerische Falle erkannt!  

Er hatte den Widersacher durchschaut, der stets mit trügerischen Illusionen fesseln und in die Irre führen wollte.  

Doch zugleich wusste er, dass der Widersacher mit all seinen Täuschungen letztlich immer dem höheren Guten dient. Seine sind keine Täuschungen – sondern Prüfungen, um den wahren guten Willen zu testen!  

Und dann – plötzlich – ein klares, scharfes Aufblitzen tief in ihm.  

Etwas bewegte sich in seinem Inneren – unerwartet. Er konnte es nicht anders erklären. Eine plötzliche, stumme Bewegung, die doch unmittelbar zu ihm sprach.  

Die Stimme seiner Seele! Er erkannte seine Seele! Diese Bewegung. Diese innere Bewegung. Dieser plötzliche Energieimpuls tief in seinem Inneren.  

Ein spürbares, wenn auch fast nicht wahrnehmbares inneres Energiegefühl.  Ein beunruhigendes, verstörendes, plötzliches inneres Aufbäumen, wenn die Botschaft lautet: „Nein, tu es nicht!“  Ein sanftes, beruhigendes Gefühl, wenn die Antwort ist: „Ja, geh weiter!“  

Die Seele belehrt nicht mit Worten, predigt nicht, spricht keine romantischen Weisheiten.  Die Seele sendet Signale.  Man nimmt die innere Bewegung wahr – und spürt sofort die Antwort: Ja oder Nein. Die Seele ist direkt.  Hat man einmal verstanden, wie sie wirkt, dann weiß man es – sofort.  Eine absolute Gewissheit, kein Zweifel, nur das Körpergefühl der unumstößlichen Wahrheit.  

Das ist die Seele.  Wenn du eine göttliche Seele hast, dann ist dein Kompass in dir! 

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